Destruktive „Digitalisierung“

Lars Fengler beklagt in seinem Blogbeitrag zu Recht, dass bei der Digitalisierung oft ideologisch gestritten wird. Seine Beispiele kann ich nur bestätigen, und so bin ich fast schon versucht, diese Erkenntnis (im positiven Sinn!) als Binsenweisheit zu bezeichnen. Welche Konsequenzen hieraus folgen, liegt an uns, und es besteht durchaus die Gefahr, dass wir unsere Schulen nachhaltig schädigen.

Und hier habe ich mir sehr über die Deutlichkeit und Reflektiertheit gefreut, mit der der Kollege die „Wirkungsmacht generativer Sprachmodelle“ (denn das ist das eigentliche Thema seines Beitrags) als destruktiv beschreibt. Er nimmt sich des Themas sowohl prinzipiell erwägend als auch aus konkreter Erfahrung gespeist aus vielen Blickrichtungen an und entwickelt ein Bild von Schule, auf das wir uns „eigentlich“ bloß wieder besinnen müssten. Diese erbauliche Darstellung kann ich nur thesenartig ergänzen.

„Lernen“? Klar kann ich „KI“ brauchen…

Schon vor dem durch die Veröffentlichung von ChatGPT erzeugten Hype hatte ich auf meinem Handy eine KI-App, nämlich Flora Incognita. Sie hat mir viel Freude bereitet, weil ich schon immer gerne mehr über Pflanzen gewusst hätte. Mit biologischen Bestimmungsbüchern bin ich Sprachlehrer nie klargekommen, obwohl ich mich bemüht habe. Durch die Nutzung der App habe ich die Namen von Pflanzen erfahren, die ich schon immer wissen wollte (plus Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, dass die Zuordnung durch die KI korrekt war) und fühle mich damit in meiner Welt mehr zu Hause. Die Funktionsweise der App ist transparent oder zumindest prinzipiell nachvollziehbar. Sie und ihre Macher erscheinen vertrauenswürdig. Aber ich habe mich nicht weiterentwickelt, nicht „gebildet“.

…aber Bildung muss mündig machen.

Zumindest von Botanikern (denn ich habe mir sagen lassen, dass kaum jeder Biologe sich mit Botanik befassen kann) würde ich aber eine eigene Kenntnis der Materie erwarten. Vielleicht ist dies eine Frage des Menschenbilds, aber einstweilen stehe ich dazu: Uns sind geistige Anlagen gegeben, um zu wissen, zu können, zu urteilen, körperliche, um zu schaffen, zu laufen, präsent zu sein. Wir teilen Arbeit, spezialisieren uns, nutzen Hilfsmittel, aber nicht nur. Ich möchte laufen können, obwohl ich ein Auto habe, ich möchte singen können, obwohl ich das Radio anschalten kann, ich nutze Flora Incognita, weil ich es einfach nicht hinbekomme mit den Bestimmungsbüchern, aber selbstverständlich koche ich, obwohl ich auch zu McDoof gehen könnte.

Werkzeug vs. Allgemeinbildung

Ein generatives Sprachmodell wie DeepL wird ein willkommenes Werkzeug sein für eine Naturwissenschaftlerin, die keine Kapazitäten hat, sich zusätzlich mit ihrem Fachgebiet noch mit Fremdsprachen zu beschäftigen. Eine Suchmaschine, der ich Fragen stellen kann und die auf Basis einer großen Datenbank und Algorithmen in ganzen Sätzen antwortet, kommt mir prinzipiell erst einmal nicht wie eine Revolution vor, sondern eine einigermaßen konsequente Weiterentwicklung der Anordnung und Bereitstellung von Wissen über die Jahrhunderte. Natürlich liegt bei ChatGPT & Co. bei der Verlässlichkeit, Überprüfbarkeit, Nachvollziehbarkeit einiges im Argen, das wird sich allerdings sicher noch bessern (Perplexity macht es ja schon vor). Aber das ändert nichts daran, dass wir nicht alles aus unserem Körper und Geist auslagern können, wollen und sollten. Das galt schon für frühere Generationen von Hilfsmitteln und es gilt weiterhin. Wie absurd nun, dass wir warnen müssen, ein Hilfsmittel nur dann einzusetzen, wenn man es nicht braucht („Nutze ChatGPT nur, wenn du über genügend eigene Urteilskraft in der Sache verfügst.“)

Worauf kommt es nun an?

Lars Fengler betont zu Recht die Beziehungsebene des Lernens und plädiert für eine Schule, die menschlich bleibt. Es erscheint mir aber nicht überflüssig, auch banalere Botschaften zu wiederholen:

  • Die Sprach-/Kulturfächer haben die Aufgabe, die Kinder zur selbsttätigen Auseinandersetzung mit Gedanken zu bewegen. Sie müssen das Verfassen von Texten als eine Tätigkeit begreifen, in der sich ihr Menschsein zeigt, so wie sie auch Fußball spielen und nicht mit Hilfe einer App einen virtuellen Kicker konstruieren.
  • „KI-gestützte Textbearbeitung“? Dass ich nicht lache! Wie lange gibt es schon Rechtschreibkorrektur, wie lange fordert der Englisch-Lehrplan schon, sich im Unterricht der Oberstufe mit Sprachkorpora zu befassen. Wer jetzt behauptet, dass ChatGPT & Co. neue Möglichkeiten eröffnen, meint damit nur, auf Knopfdruck aus der Black Box etwas zu erzielen, was früher Handeln und Kompetenz erfordert hätte. Das überlasse ich gerne denen, die sich nicht mit Sprache beschäftigen können oder wollen (so wie ich mit Botanik). Aber ich unterrichte Menschen in Sprachen, fordere sie nicht lediglich zum Bedienen einer Black Box auf.
  • Schummeln und Schaumschlägerei sind nichts Neues. Wir haben die Aufgabe und Verantwortung, unseren SchülerInnen ruhig und besonnen zu signalisieren, dass wir sie, unsere Pappenheimer, kennen, und ihnen zu erklären, warum sie Texte lesen und verfassen (s.o.).
  • Gerade jetzt, wo der Hype noch medial verbreitet wird, ist es wichtig, unseren SchülerInnen (und uns selbst) den Rücken dahingehend zu stärken, dass nicht ohnehin „die Maschinen“ (oder wer auch immer) alles besser können. Es darf ein ähnlicher Gedanke auch mehrmals formuliert werden! Ob nun im Reclam-Heft, dem Gradesaver, der Wikipedia oder halt vom Sprachmodell irgendwo zusammengewürfelt schon mehrere Interpretationen des Gedichts stehen, will ich doch wissen, was du dazu zu sagen hast, damit wir darüber in Austausch treten können.

Tatsächlich schadet das, was derzeit unter „Digitalisierung“ läuft, mehr als es nutzt, aber wird sind dem keineswegs hilflos ausgeliefert. Einmal kräftig schütteln, sich nicht kirre machen lassen von irgendwelchen Verlagsfortbildungen, die suggerieren, es müsse jetzt unbedingt etwas auf Biegen und Brechen eingesetzt werden, nur weil es es gibt, und dann die SchülerInnen verstehen lehren und gemeinsam Sinn suchen, da gibt es genug zu tun!

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